|
Im Zuge der Vernehmungen und Ermittlungen gegen die Kölner Navajos vom Georgsplatz, die zwischen dem 16. und 18. Oktober 1937 verhaftet worden waren, werden vier weitere Jugendliche stark belastet. Sie werden am 26. Oktober 1937 verhaftet und im Polizeigefängnis Klingelpütz inhaftiert.
Der erste festgenommene Jugendliche ist Hans R. Von diesem hatte die Polizei bei dem Jugendlichen Josef St. zwei Briefe und eine Postkarte mit bündischen Zeichen gefunden. Der Gestapobeamte kommentiert: "Bei Vorführungen und sonstigen Vorkommnissen, hervorgerufen durch die Navajos, war R. stets dabei oder genannt. Insbesondere die von R. unter seine Schreiben gesetzten Zeichen der Nerother, bezw. der Pfadfinder sowie die Grüsse "Horrido" und "Ahoi" liessen ihn dringend verdächtig erscheinen, einer der Haupträdelsführer zu sein." Diese Begründung ist allerdings alles andere als stichhaltig, da die Grußformen von allen Jugendlichen benutzt werden. Außerdem hätten die Ermittlungen ergeben, dass es R. war, der bei dem Zusammenstoss vom 14. Oktober 1937 mit dem Verkehrserziehungsdienst des NSKK auf der Hohe Straße eine führende Rolle gespielt habe. Er sei im Wesentlichen für die Menschenansammlung verantwortlich zu machen, da er auf einer Klampfe in herausfordernder Weise das Lied "Do steiht eine Schutzmann" gespielt habe. Deshalb sei er am 26. Oktober in seiner Wohnung festgenommen und eine Hausdurchsuchung durchgeführt worden. Dabei wurde "eine Klampfe sichergestellt, auf der eine Pfadfinderlilie eingeritzt ist. Weiter wurden einige bündische Lieder, Aufnahmen vom Fahrtenbetrieb und verschiedene Notizen über die Telefonnummern der leitenden Beamten der Staatspolizei vorgefunden."
In seiner Vernehmung vor der Kölner Gestapo vom 27. Oktober sagt R., der darüber hinaus wichtige Informationen über die Gruppe am Appellhofplatz zu Protokoll gibt, aus, dass er die bei ihm gefundenen Lieder der " Koltschaksoldaten", "Träumend denken wir im Sattel" (Kosakenlied), "Graue Kolonnen ziehen in der Sonn", "Die Goldene Horde" und "Hab Sehnsucht nach den blauen Bergen" von einem Fritz W. erhalten habe, der auch zum Appellhofplatz kam, nachdem er vorher bei der Clique am Georgsplatz verkehrt habe. Das Lied "Wir Bummler", das von den Nerothern stamme, habe er von einem Jungen, der bei der Kölnischen Zeitung beschäftigt gewesen sei und die Initialen H. W. [Hans W.] trage: "Das auf der Rückseite dieses Liedes von mir Geschriebene ist ein Lied, das von einem der Burschen vom Appellhofplatz verfasst wurde. Wenn es darin heisst: "Finster ist die Nacht, und die Streife wacht..." so ist hiermit die HJ-Streife gemeint, von der wir uns nicht dreinreden lassen wollten. Mit der "alten Zeit", die noch nicht vorbei ist, war die Pfadfinderzeit gemeint. Von einem Mädchen habe er einen Zettel mit der Beschriftung: "Wer einer Jungfrau dunkle Grotte mit seinem Samen hat erquickt".
Außerdem wird der 18jährige Arbeiter Walter H. verhaftet, "Der ebenfalls erheblich belastet war." Bei der Durchsuchung werden zwei Armriemen mit einem Totenkopf - dem Abzeichen der Navajos - gefunden. Nach Aussage der Leiterin des NSV-Mädchenheims am Georgsplatz habe H. das herausforderndste Benehmen zur Schau getragen und sei für die Beschädigung der Fenstergitter, der Zertrümmerung der Scheiben und das Inbrandsetzen einer Gardine mitverantwortlich. H. liefert wichtige Informationen zur Gruppe am Georgsplatz.
Als "führende Mitglieder der Kalker Organisation" werden die 17jährigen Ernst S. und Theodor S. festgenommen. Beide waren schon zuvor bei der Gestapo vorgeführt und verwarnt worden: "Durch die letzten Ermittlungen und Aussagen der übrigen Beschuldigten wurden die Genannten erneut stark belastet, wobei sich ergab, dass sie ihr staatsfeindliches Treiben trotz Verwarnung fortgesetzt hatten." Die Durchsuchung ihrer Wohnung habe einwandfreies Material für deren bündische Betätigung im Sinne der Navajos erbracht. Bei Ernst S. wird ein Armriemen mit Totenkopf sichergestellt, Bei Theodor S. ein Kraftriemen mit Totenkopf, ein Notizbuch mit bündischen Liedern sowie einige Aufnahmen von Fahrten, die ihn in der Kluft der Navajos darstellen. Darüber hinaus wird ein Brief des Österreichers Karl B. vorgefunden, der auf die internationalen Beziehungen in Art der früheren Ringpfadfinder hindeutet. Ihre Aussagen vor der Gestapo - ebenfalls am 27. Oktober 1937 - geben Einblicke in die Gruppenstrukturen und Zusammenhänge der Kölner "Navajoszene", besonders zu den Kalker Navajos und der Gruppe an der Rheinwerft.
Der Gestapobeamte Sch. kommentiert in einem Vermerk vom 28. Oktober 1937: "Wie die Beschuldigten in ihren verantwortlichen Vernehmungen zugaben, sind sie schon seit längerer Zeit in den Kreisen der sog. Navajos. Bei allen dürfte es sich um die ersten Vertreter aus ihren Gruppen, Kalk und Appellhopflatz - Georgsplatz handeln. Es steht fest, dass der Kraftriemen mit Totenkopf das Abzeichen der Navajos ist. Bei S., S. und H. wurden solche Abzeichen gefunden und geben die Genannten zu, dieselben auch getragen zu haben. Weiter geben sie zu, auf Fahrt und bei Treffs die bei ihnen vorgefundenen bündischen Lieder gesungen zu haben, trotzdem sie wussten, dass ein Verbot vorlag. Bis auf R., der trotzdem am stärksten belastet ist, haben die Beschuldigten auch ständig die Kluft der Navajos getragen. All dies dürfte der Beweis ihres bewussten bündischen Treibens sein. Hinzu kommt noch, dass alle Beschuldigten zugeben, sich in der bündischen Weise durch "Ahoi" und "Horrido", verbunden mit dem Händedruck der aufgelösten Pfadfinderorganisationen, begrüsst zu haben."
Den Gestapobeamten Sch. ärgert es offensichtlich, dass sich die Jugendlichen in den Verhören wenig kooperativ zeigten: "Alle Beschuldigten waren bei ihren Vernehmungen äußerst verstockt und gaben zum Teil nur das zu, was ihnen an Hand des einwandfreien Materials bewiesen werden konnte. Es besteht in den Kreisen der Navajos die Weisung keinerlei Aussagen zu machen und sich gegenseitig zu belasten." Auch wenn die Ermittlungen hierzu kaum Anlass bieten, konstruiert der Gestapomann am Abschluss des Berichts einmal mehr "die sittliche Verkommenheit der Navajos" und "die kriminelle Veranlagung der Burschen".
Am 29. Oktober 1937 stellt das Amtsgericht einen Haftbefehl gegen die vier Jugendlichen aus. Die Inhaftierung dauert an: "Sie sind fluchtverdächtig, wegen der zu erwartenden hohen Strafe. Auch besteht Verdunkelungs- und Fortsetzungsgefahr." Dagegen legen die Rechtsanwälte und Eltern der Inhaftierten erfolglos Beschwerde ein.
Am 30. November 1937 erhebt der Oberstaatsanwalt Anklage vor dem Sondergericht Köln. Neben den vier oben aufgeführten Angeklagten werden auch Adolf W. und Ernst T. angeklagt, sich trotz des Verbotes der bündischen Jugend in ihrem Sinne betätigt zu haben. Am 14. Dezember 1937 tagt das Sondergericht, um über die Jugendlichen zu urteilen.
|
|