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Kontroverse Beurteilung der Edelweißpiraten im britischen Außenministerium

Ende 1944 verfassen Mitarbeiter des Foreign Office Research Departement (FORD) in London verschiedene Denkschriften zur Lage in Deutschland, um die Ziele späterer Besatzungspolitik zu formulieren. Diese Berichte werden in der Forschung als "stets fundiert und abgewogen" bezeichnet. Im Zusammenhang mit der immer stärker voranschreitenden Nachkriegsplanung befasst sich das britische Außenministerium auch mit den deutschen Jugendlichen, die sich nicht "gleichschalten" lassen wollten. Über die Einschätzung der Edelweißpiraten und ähnlichen Jugendgruppen gehen die Meinungen jedoch auseinander. Im Dezember 1944 führt dies zu einer lebhaften internen Kontroverse.

Der Auslöser dieser Debatte ist eine Denkschrift des Foreign Office-Mitarbeiters und Oxford-Professors E.R. Dodds vom 29. November 1944 mit dem Titel "The Youth Movement and the Hitler Jugend". Die Kontroverse entzündet sich an seiner Bewertung der politischen Einstellung der Edelweißpiraten. Dodds berichtet, dass innerhalb der HJ "neuerdings" eine Bewegung von Andersdenkenden beobachtet werde. In weit auseinanderliegenden Teilen des Deutschen Reichs bestehen gegen den Nationalsozialismus gerichtete Gruppen innerhalb der HJ , die sich selbst als "Edelweiß" oder Edelweiß-Piraten bezeichnen und offensichtlich ohne Verbindung untereinander existieren. Von ihnen werde gesagt - und dies ist der Satz, der den Disput auslöst - sie hätten eine demokratische und pazifistische Einstellung.

Zwei Kollegen Dodds teilen diese Beurteilung nicht. Ihre deutlich skeptischere Einstellung gegenüber den Edelweißpiraten fußt auf einem Dodds unbekannten Bericht der Geheimabteilung psychologischer Kriegsführung im Foreign Office vom 4. Dezember 1944. Dieser Denkschrift zufolge, die sowohl offizielle Quellen der Reichsjugendführung als auch Aussagen von Emigranten auswertet, habe die deutsche Jugend zwar eine echte neuartige oppositionelle Bewegung aus den eigenen Reihen hervorgebracht. Diese Bewegung sei aber in ihrer Romantik typisch deutsch und eher unpolitisch. Viele Aktivitäten der Edelweißpiraten werden als reines Straßen-Rowdytum oder sinnlose geringfügige Sabotage bezeichnet. Die Denkschrift endet mit einer höchst kritischen Bewertung der Edelweißpiraten: "Die Bewegung ist im wesentlichen unpolitisch. Ihre Aktivitäten werden bestimmt durch Liebe zum Abenteuer, einen Hang zur Zerstörung, den Geist der Indianer oder reine Kriminalität. Sie stellt eher eine temperamentvolle Reaktion gegen eine Art von Reglementierung als gegen politische Doktrinen dar. Antinationalsozialistische, in erster Linie Anti-HJ-Aktivitäten sind zufällig oder ein Nebenprodukt."

Dodd muss aufgrund der massiven Vorbehalte im Außenministerium seine Einschätzung der Edelweißpiraten umändern. In der neuen Version seiner Denkschrift heißt es abschließend: "Während das primäre Motiv für die Bildung solcher Gruppen wahrscheinlich ein einfacher Groll gegen übertriebene Reglementierung ist, kann sich dies leicht zu einer politischen Opposition entwickeln oder mit ihr in Verbindung geraten, und es mag sein, dass dies bei zumindest einigen Gruppen bereits geschehen ist."



 
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