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Fremdwahrnehmung der Edelweißpiraten: Skepsis bei amerikanischen Nachrichtenoffizieren 1944/45

Als die amerikanischen Truppen im Oktober 1944 von Belgien aus nach Deutschland vorstoßen, folgen den ersten Panzern die Nachrichtenoffiziere der Abteilung Psychologische Kriegsführung (PWD). Die Offiziere sollen erforschen, was in den Köpfen der Bevölkerung vorgeht. Zu ihnen gehört auch Saul K. P., der perfekt Deutsch spricht. Er führt ausführliche Personeninterviews mit deutschen Gesprächspartnern und -partnerinnen: von der Bauerntochter zum Industriellen, vom Bischof zum Zwangsarbeiter, vom Nazi-Funktionär zum kommunistischen Arbeiter. Auf der Basis dieser Vernehmungsprotokolle erstellt die PWD ein Bild zur politischen und mentalen Lage in Deutschland, in dem auch die deutsche Jugend berücksichtigt wird. So heißt es in einem Bericht P.s von Oktober 1944: "Nur etwa zwanzig Prozent der Jugendlichen sind pronazistisch eingestellt. Der Rest ist deutschnational. Sie werden mit den Alliierten nicht begeistert zusammenarbeiten, die Besatzung aber passiv hinnehmen, ja sogar zu einer Kollaboration bereit sein, sofern die Alliierten keine allzu antideutsche Politik betreiben."

Ende November 1944 verfassen die Nachrichtenoffiziere einen zusammenfassenden Bericht über ihre Arbeit. Dies ist wohl die erste umfassende, während des Krieges erstellte Studie über die Deutschen, die auf unmittelbarer Befragung basiert. Zur Jugend heißt es darin allgemein: "Es hat den Anschein, als seien die jungen Deutschen nicht vollständig vom Geist des Nationalsozialismus vergiftet. Viele sind der herrschenden Ideologie überdrüssig und stehen dem System, in dem die Arbeit, die Schule und überhaupt das ganze Leben von Zwang bestimmt wird, ablehnend gegenüber. Sie möchten tun können, was normale junge Leute gern tun. Die Mitgliedschaft in der Hitlerjugend ist, da Pflicht, nicht beliebt."

Eine ausführliche, durchaus skeptische Beurteilung geben die Nachrichtenoffiziere zu den Edelweißpiraten ab: "Die Edelweißpiraten, die in mehreren Städten des Rheinlandes aktiv sind, beschränkten sich darauf, Mitglieder der Hitlerjugend zu verprügeln. Sie sind keine demokratische Bewegung. Sie folgen dem Führerprinzip und orientieren sich nicht an aufgeklärten politischen Parteien oder Grundsätzen. Sie haben kein positives politisches Programm. Die Edelweißpiraten sind nur insofern interessant, als sie der Feind unseres Feindes sind. Unsere Freunde sind sie nicht."



 
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