Chronik 
NS-Regime hält Informationen über unangepasste Jugendliche zurück



Am 1. Januar 1941 gibt die Reichsjugendführung einen internen Lagebericht "Kriminalität und Gefährdung der Jugend" heraus. Seit Kriegsbeginn 1939 versuchte das NS-Regime, der Bevölkerung das Ausmaß der Bekämpfung von unangepassten Jugendlichen zu verheimlichen. Das galt sowohl für "Zersetzungsmaßnahmen" innerhalb der HJ als auch für oppositionelle Jugendliche außerhalb der Staatsjugend. Selbst interne Analysen wie der Lagebericht werden schließlich untersagt. Man will dem Ausland kein Material über die Verfolgung von Jugendlichen und somit keine neue Angriffsflächen geben.

Die Angst vor dem Absinken der Stimmungslage in Deutschland führt dazu, dass Ereignisse über unangepasstes (Jugend-)Verhalten nur selten an die Öffentlichkeit gelangen. Würde man die zahlreichen juristischen und polizeilichen Maßnahmen, die während des Krieges zur Verfolgung von Jugendlichen eingeführt werden, bekannt machen, würde man auch eingestehen müssen, dass es im Bereich "Jugendkriminalität" und "Jugendverwahrlosung" massive Probleme gibt. Dazu kommt die - wohl nicht unbegründete - Befürchtung, dass sich unter Angehörigen und Freunden eines verurteilten Jugendlichen bei Kenntnis des tatsächlichen Verfolgungsaufwands Missstimmung verbreitet, die sich zu einem allgemeinen Unruheherd entwickeln könne.

In dem Bericht, der sich auf Materialien aus Justizbehörden, Gestapostellen, aus dem Hauptamt Sicherheit des Sicherheitsdienstes (SD) und vor allem auf Meldungen des HJ-Streifendienstes (SRD) stützt, werden auch all jene - oft nur vorgeblichen - Erkenntnisse und Beurteilungen zusammengefasst, die innerhalb der RJF bis zu diesem Zeitpunkt über die Bündische Jugend und deren Konflikte mit der Hitlerjugend (HJ) bekannt sind. In der Folgezeit stellt der Bericht eine wichtige Argumentationshilfe für Behörden und Justiz dar, die in ihrem eigenen Berichtswesen oftmals wörtlich aus ihm zitieren.

Eine wesentliche Aussage des Berichts lautet: "Die Cliquen- und Bandenbildung, d.h. die Bildung von mehr oder weniger lose zusammengeschlossenen Gruppen Jugendlicher außerhalb der Hitlerjugend, ist eine der gefährlichsten gerade in den letzten Jahren wieder hervorgetretenen Erscheinungen sowohl auf kriminellem wie auch auf dem Gebiet der politischen Zersetzung der Jugend. (...) Die politisch-oppositionellen Gruppen sammeln sich zumeist um bündische oder marxistische Elemente und erfassen im wesentlichen Jugendliche, die der Hitlerjugend bisher nicht angehört haben oder aus der Hitlerjugend ausgeschieden oder ausgeschlossen wurden. Sie vertreten gleichzeitig staats- und HJ-feindliche Ideen verschiedener Art (bündische, marxistische, konfessionelle)."

Allein schon in diesem kurzen Passus wird die Tendenz der RJF deutlich, solche aus ihrer Sicht unangepasste Gruppen einerseits zu kriminalisieren und sie andererseits - ohne Beibringung entsprechender Belege - in die Nähe marxistischer, d.h. "staatsgefährdender" Richtungen zu bringen.



 
Lexikon
Hitlerjugend (HJ)
Gestapo
Reichsjugendführung (RJF)
HJ-Streifendienst (SRD)
Sicherheitsdienst (SD)