Ein Plattenbau ohne Balkone kann innerhalb von fünf Tagen errichtet werden, mit Balkonen in vierzehn. Wie lange braucht es, damit sie ein Zuhause werden? Wie lange begleitet jemanden das Gefühl dieses Zuhauses? Wie schnell muss jemand durch ein Treppenhaus flitzen, um in die Sicherheit der eigenen vier Wände zu gelangen?
Die Ausstellung „Amoured Concrete“ versammelt zwei Gruppen von Arbeiten. Zum einen Fassaden von Plattenbauarchitekturen aus Pappe, zum anderen figurative keramische Figuren von Menschen mit Blumen. Anna Bochkovas Arbeiten fragen von hier aus allerdings nicht nach den Logiken der Einzelgebäude, sondern nach deren Bewohner*innen und deren Positionierung in den Gebäudekomplexen. Sie beziehen sich darauf, wie die Architektur Einfluss auf die soziale Konstellation nimmt, wie durch sie Bewegungen beeinflusst und gelernt werden, welche anonymen Orte durch sie entstehen oder wie sie Härte, Gewalt, aber auch Ruhe und das Gefühl eines Zuhauses produzieren. Diese idealistischen, durchgeplanten Wohnviertel wandelten sich im Laufe der Zeit aufgrund des Fehlens verschiedenster Formen von Infrastrukturen und durch städtische Wohn- und Flächenpolitiken zu sozialen Brennpunkten. Interessierte sich Anna Bochkova als Kind für die individuelle Gestaltung der einzelnen Wohnungen, die sie bei Besuchen oder in den Fenstern der immergleichen grauen Fassaden erblickte, so beschäftigen sich die in der Artothek gezeigten Arbeiten mit den Räumen zwischen den Gebäuden, wodurch sich auch ihr räumlicher und zeitlicher Bezug erweitern lässt.
Anna Bochkova bezieht sich auf ihre Erinnerungen, auf ihr Aufwachsen in einem dieser Gebäudekomplexe, auf Spannungsbereiche zwischen Individuen und Gebäuden sowie ihrem zeitlichen Wandel. Wie können aus dem Stahlbeton (Armored Concrete) liebevolle Community-Umgebungen entstehen (Amour-ed Concrete)?
Diese Frage stellen auch die gezeigten Papparchitekuren und Figuren. Bochkovas keramische Figuren tragen Blumen in die Gebäudezwischenräume, um hier Zartheit und Schönheit zu sähen, um hier etwas anzupflanzen, das auch im Wind standhaft bleibt. Die Geste des Blumen-Überreichens ist eine Geste der Anerkennung und Wertschätzung, die Gewalt entgegenwirkt. Zeitgleich verweist sie auf Traditionen und Formen des Protests. Die Blumen, die aufgrund von Kriegen, von Verlust, Härte und Unmenschlichkeit verschwinden, kehren durch die Figuren in Bochkovas Installation zurück. Eine Form der Entwicklung, die Affekte, Gefühle, Standhaftigkeit und Protest zu vereinen sucht, die aus Erinnerungen geboren wird und in die Zukunft wächst.
Text: Heiko Lietz