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Verhaftung eines Kölner Navajos und Konstruktion des Hochverrats: Ein Fallbeispiel

August L. als "Roter Jungpionier"

Der 17-jährige August L. wird am 14. September 1937 als vermeintlicher "Führer der Navajos" wegen "staatsfeindlicher Betätigung" festgenommen.

Die Gestapo ist auf L. durch die Aussagen einer Jugendlichen aufmerksam geworden. Sie gibt am 06. September 1937 zu Protokoll, dass sie L. schon einmal auf einer Fotografie mit einer roten Fahne gesehen habe. Dieses Foto habe L. ihr selbst gezeigt. Bei einem gemeinsamen Spaziergang mit ihm und Heinrich S. habe er die Internationale angestimmt und mehrere andere kommunistische Lieder gesungen: "Am gleichen Abend sagte er noch: "Wenn jetzt das dritte Reich aufhört, dann kommt kein neues Reich, dann kommen die Roten an die Regierung."

Nach dieser Aussage wird L. inhaftiert und seine Wohnung durchsucht. Laut Haftprotokoll vom 15. September 1937 wird bei der Durchsuchung seiner Wohnung eine Aufnahme gefunden, die L. als Fahnenträger der kommunistischen "Roten Jungpionier" zeigt: "Es handelt sich um die Aufnahme, die er nach den Zeugenaussagen im Kreise Jugendlicher rundzeigte."

Bei seiner Vernehmung vom 15. September schildert L. seine Aktivitäten als Navajo. Im April des Jahres habe er sich zunächst einer Gruppe angeschlossen, "die ihren Treff in der Straße unter Krahnenbäumen hatte. Die Gruppe löste sich allmälig [sic] in zwei auf, von denen sich die eine zum Appellhofplatz und die andere zum Volksgarten verzog." L. habe sich aber keiner der Gruppen angeschlossen, sondern durch seinen Freund Heinrich S. Verbindung zu Kalker Navajos geknüpft, die sich am Rhein an der Landebrücke der Reederei Schweers aufhielten.

Weiter gibt L. zu, dass er sich an Gesprächen über Kommunismus beteiligt habe. Er habe auch das Foto von sich als Fahnenträger der Roten Jungpioniere gezeigt und am Rhein die Internationale gesungen. Er bestreitet aber jegliche kommunistische Verbindungen und gibt an, dass er sich lediglich interessant machen wollte. Im Kommentar des Gestapobeamten Sch. liest sich das wie folgt: "Der Beschuldigte L. ist überführt und geständig die "Internationale" in Gegenwart dreier Jugendlicher gesungen zu haben und auch durch weitere Handlungen kommunistische Zersetzungsarbeit bei Jugendlichen betrieben zu haben."

Am 17. September 1937 wird Haftbefehl gegen L. erlassen. Am 2. Oktober 1937 richtet L. eine Untersuchungshaftbeschwerde an den Oberstaatsanwalt. Vermutlich wird ihm erst jetzt der Lage bewusst. Er habe nicht die Internationale, sondern eine profaschistische Parodie dieses kommunistischen Liedes aus dem Spanischen Bürgerkrieg zum Besten gegeben. Auch habe er das Bild nur im kleinen Kreis gezeigt. Da er kein Kommunist sei und keine Fluchtgefahr bestehe, bittet er, aus der Untersuchungshaft entlassen zu werden. Auch sein Anwalt reicht am 13. Oktober 1937 in diesem Sinne eine Haftbeschwerde ein. Er versucht, die Anschuldigung kommunistischer Betätigung wie folgt abzuschwächen: "Dass der Beschuldigte in dem Viertel, in dem er wohnt unter (Krahnenbäumen) möglicherweise mit diesem oder jenem schon mal in Berührung gekommen ist, der früher zu einer Roten Organisation gehörte, liegt in dem früheren politischen Charakter der Gegen, die im Volksmund als "Klein-Moskau" bezeichnet wurde, begründet." Nachdem diese Beschwerde am 18. Oktober vom Oberstaatsanwalt abschlägig beurteilt wird, erneuert L. sein Gesuch um Haftentlassung am 20. Oktober. Er kann ein überaus positives (Führungs-)Zeugnis der Katholischen Volksschule Köln beibringen, was ihn jedoch nicht entlastet.

Am 8. Dezember 1937 berichtet der Oberstaatsanwalt dem Reichsanwalt beim Volksgerichthof über das Vorverfahren gegen August L. wegen Vorbereitung zum Hochverrat: "Der Beschuldigte L. hat von seinem 10.-12. Lebensjahre der kommunistischen Organisation "Rote Jung-Pioniere" angehört, kurz vor der Machtübernahme trat er aus der vorgenannten Organisation aus. Im April 1937 schloß er sich in Köln einer dort bestehenden Gruppe von zumeist jüngeren Personen an, die sich selbst "Navajos" nannten. Die "Navajos" hatten es sich zur Aufgabe gemacht, das Brauchtum und Gedankengut der aufgelösten und verbotenen bündischen Jugend zu pflegen. [...] L. ist verdächtig, bei den Zusammenkünften mit den "Navajos" auf diese im kommunistischen Sinne eingewirkt zu haben. L. soll bei den Zusammenkünften u.a. die "Internationale" und das Lied "Völker hört die Signale" gesungen haben. Gelegentlich eines Zusammenseins soll er geäußert haben: "Wenn jetzt das dritte Reich aufhört, dann kommt kein neues Reich, dann kommen die Roten an die Regierung." Der Oberstaatsanwalt schließt seinen Bericht mit der Bitte um Weisung. Am 15. Dezember 1937 übernimmt die Generalstaatsanwaltschaft in Hamm das Verfahren. Das Verfahren von L. wird von denen der anderen abgetrennt.

Am 7. Januar 1938 werden auf Weisung des Generalstaatsanwalts die jugendlichen Zeugen erneut zum Verhör in Sachen L. gebeten, die nun als "Hochverratssache! Vertraulich!" behandelt wird. Sie sollen sich darüber äußern, in welcher Version L. die Internationale gesungen habe. Am 17. Januar entlasten ihn die beiden Jugendlichen S. und L. und geben zu Protokoll, dass es sich um die Parodie der Internationale gehandelt habe. Sie hätten dies bei der ersten Vernehmung nicht zu Protokoll gegeben, weil sie gedacht hätten, dass es sich bei der Version des L. um den Originaltext gehandelt hätte.

Die Näherin Else M. belastet L. am 17. Januar 1938 allerdings noch stärker als zuvor: "Auch sonst führte L. kommunistische Reden. So weiss ich genau, dass er an dem fraglichen Tage u.a. auch sagte: "Ich wünsche, es käme jetzt eine Revolution, dann nähme ich mir eine Knarre in die Hand und würde alle kaputt schiessen." "Weiter sagte er: "Wir leben und sterben für Sowjetrussland." Ausserdem fragte er: "Wisst ihr was nach dem dritten Reich kommt? Dann sind wir dran". Aus Briefen L.s an seine Eltern und eine befreundete Familie geht hervor, dass er der festen Überzeugung ist, dass besagte Else M. ihn aus Rache so schwer belaste, dass er "als 16jähriger schon als Staatsfeind Nr. 1 da stehe." Auch an den Generalstaatsanwalt richtet L. ein Schreiben, dass sie seine ablehnende Haltung gegenüber früheren Annäherungsversuchen nicht verziehen und ihn deshalb denunziert habe.

Am 21. Januar 1938 übersendet der Kölner Oberstaatsanwalt dem Generalstaatsanwalt drei Kassiber, die Heinrich S. an L. verfasst hatte. In diesen geheimen Briefen, die sich die Jugendlichen im Gefängnis zusprechen, sprechen sie ihre Aussagen vor der Gestapo ab und machen sich Mut. Allerdings wird die Lage für L. am 14. Februar dadurch erschwert, dass S. und L. ihre Aussagen zurückziehen. Tatsächlich habe L. den richtigen Text der Internationale gesungen. L. begründet ihre Falschaussage damit, dass sie von der Mutter des Angeklagten unter Druck gesetzt worden sei. Daraufhin gibt L. zu, tatsächlich die Internationale gesungen zu haben.

Am 15. Februar 1938 schickt der Kölner Gestapobeamte Sch. an den Generalstaatsanwalt, indem er seine Position zum Fall zusammenfasst. Erstmalig bezeichnet er die "Navajos" als einen wilden Bund ohne bestimmte politische Richtung, die sich aus Jugendlichen aller Lager und Schichten zusammensetze. Insgesamt hätten die Ermittlungen nicht ergeben, dass sich dieser Bund nicht mit kommunistischen Dingen befasse: "L. dürfte zu seinem Handeln lediglich dadurch gekommen sein, dass er wusste, im Kreise der Navajos mit staatsfeindlichen Reden Anklang zu finden, wobei er das in ihm steckende kommunistische Gedankengut anbrachte." Zu den Verhältnissen der Familie L. äußert sich Schmitz in vernichtender Weise: "Es handelt sich bei allen Beteiligten um Personen aus der untersten Bevölkerungsschichten, die heute Freund und morgen Feind sind und deren Betätigung sich fast einzig Streit und Hausklatsch erschöpft. Die Mutter des L. ist Analphabetin, wegen ihres Mundwerks jedoch von allen Nachbarn gefürchtet. [...] Die Familienverhältnisse sind vollkommen verworren. Beide Eheleute sind zum zweiten mal verheiratet. Von insgesamt 10 vorhandenen Kindern befand sich August L. als einzigster bei seinen Eltern. Der Stiefbruder des L. ist kriminell. Ein Teil der übrigen Geschwister wurde im Waisenhaus aufgezogen. Die Eltern genießen keinen guten Ruf und sind in keiner Weise zur Erziehung von Kindern geeignet." Das gleiche Urteil (ärmlichste Verhältnisse, sittliche Verkommenheit) gibt Sch. über die Zeuginnen L. und M. ab

Am 3. März lehnt der Oberstaatsanwaltschaft ab, den Haftbefehl aufzuheben, wie es der Vater des L. am 7. Februar 1938 in einem Gnadengesuch an Adolf Hitler erbeten hatte. Offensichtlich wird das Verfahren wieder zum Sondergericht Köln zurückgegeben, da der Oberstaatsanwalt - und nicht der Generalstaatsanwalt - die Anklageschrift gegen L. am 22. März 1938 verfasst. In dieser Anklageschrift ist allerdings von kommunistischen Bestrebungen keine Rede mehr.

Schließlich wird L. am 6. April 1938 zu einer viermonatigen Haftstrafe verurteilt, die er durch die Zeit der Untersuchungshaft abgebüßt hat. Die Urteilsbegründung gibt an, dass er sich durch seine Zugehörigkeit zu den Navajos im Sinne einer Fortführung der verbotenen bündischen Jugend betätigt habe: "Bei der Strafzumessung fiel erschwerend ins Gewicht, daß der Angeklagte bereits vorbestraft ist und offenbar zu einer den heutigen Staat ablehnenden Haltung neigt, wie sich aus dem eine starke Unverfrorenheit darstellenden öffentlichen Absingen der Internationale und seinem Fernbleiben von der HJ ergibt. Das Gericht hat den Eindruck, dass der noch jugendliche Angeklagte sich von den Einflüssen, die während der Systemzeit auf ihn eingewirkt haben, noch nicht hat freimachen können. Zu seinen Gunsten ist berücksichtigt worden, dass er die Fahrten der Navajos nicht mitgemacht hat."



 
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