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Störungen beim "Verkehrserziehungsdienst"

Kölner Navajos um 1937: Alios S. (rechts) war am Zwischenfall auf der Hohe Straße beteiligt.


Die Hohe Straße um 1936


Der "Kaufhof" (vormals Tietz) auf der Hohe Straße. In unmittelbarer Nähe kam es zum Menschenauflauf.

Am Abend des 12. Oktober 1937 kommt es auf der Hohe Straße zu einem Zwischenfall, der in einem Bericht der Gestapo so dargestellt wird: Ein Angehöriger des "NSKK-Verkehrs-Erziehungs-Dienstes", "der pflichtgemäß und höflich die Radfahrer darauf aufmerksam machte, sich der Verkehrsordnung anzupassen", sei von vier Jugendlichen angegriffen worden, "wobei man ihm auf die Füße trat und mit herausfordernden Bemerkungen vor dem sich inzwischen ansammelnden Publikum" - es soll sich immerhin um 150 bis 200 Personen gehandelt haben - "lächerlich zu machen versuchte". Das gibt auch der verantwortliche NSKK-Truppführer beim Motorsturm 8/71 vor der Gestapo zu Protokoll. Während seiner Belehrung habe der zur Ordnung gerufene Jugendliche "gegrinst" und eine "herausfordernde Haltung" eingenommen. Während der weiteren "Belehrung" habe ihn "die weitere Rotte von 25-30 Köpfen umzingelt". Nun sei Theodor B., "anscheinend der Führer dieser Gruppe", aktiv geworden, habe das Fahrrad genommen und es gegen die Verkehrsrichtung geschoben. "Jetzt stellte ich mich dem B. entgegen und belehrte ihn nochmals, dass die Verkehrsbelehrung auch für ihn gilt. Hierbei drückte er mich zur Seite und wollte weiter fahren." Er, so der Truppführer weiter, habe B. nunmehr den Weg verstellt, worauf dieser "ganz nah - Brust an Brust" auf ihn zugetreten sei, ihm "scharf in die Augen" gesehen und gleichzeitig auf den Fuß getreten habe. Die übrigen Jungen und Mädchen haben B. daraufhin "angefeuert". Dieser sei aber der Aufforderung, dem NSKK-Mann zur Belehrung auf die andere Straßenseite zu folgen, "bereitwilligst" nachgekommen, habe dann aber versucht, auf dem Rad zu fliehen. Dies verhindert der NSKK-Mann. "Inzwischen hatte sich das ganze Gesindel aus der Hohe Straße zu einem starken Trupp zusammen gefunden und nahm Partei gegen mich" - so der bedrängte Truppführer. Durch Zurufe, so geben weitere Zeugen zu Protokoll, seien zudem "weitere umstehende Burschen zum Widerstand aufgereizt" worden. Kameraden eilen dem NSKK-Mann zu Hilfe. Es fallen Äußerungen wie 'Die braune Bande', 'Der hat doch keine polizeilichen Befugnisse', 'Geht ihm doch laufen' usw. Es haben sich, so nochmals der NSKK-Truppführer, "mehrere Schlägereien" entwickelt, "die nach Äußerungen des anständigen Publikums diese buntbehemdeten Burschen verursacht" hätten. Der Vorfall habe schließlich ein solches Ausmaß angenommen, dass Hohe Straße und Gürzenichstraße für etwa eine Viertel Stunde für den ganzen Verkehr gesperrt wird.

Als besonders provozierend wird dabei offenbar empfunden, dass einer der Jugendlichen, deren Zahl von Zeugen auf mehr als 20 beziffert wurde, auf seiner Gitarre das Lied "Do steit ene Schutzmann" spielt, das die übrigen "mitgegrölt" hätten. Hierbei tun sich laut Aussage eines NSKK-Angehörigen besonders die Mädchen hervor, die "ganz laut" mitgesungen hätten.

Auch der vorläufigen Verhaftung und polizeilichen Vorführung haben die Jugendlichen "erheblichen Widerstand" entgegengesetzt, "wobei sie auf die NSKK-Angehörigen einschlugen und traten". Aus Zeugenaussagen geht allerdings hervor, dass von der anderen Seite, d.h. sowohl von den NSKK-Männern, als auch von den umstehenden Passanten, ebenfalls geschlagen wird. "Der Vorführung", so nochmals der NSKK-Mann, sind "sehr viele Menschen" gefolgt, aufgefordert "durch die jungen Burschen in bunten Hemden".

Vom Polizeipräsidium in der Krebsgasse wird der immer noch zahlreiche Personen umfassende Zug zum 4. Polizeirevier weitergeleitet. Dort werden die Anzeigen gegen vier Jugendliche aufgenommen. Gegen Wilhelm M., Theodor B., Alois S. und Leo D. wird daraufhin durch die Gestapo eine siebentägige "Schutzhaft" verhängt und ein Strafverfahren eingeleitet.

Die Verhöre der Beschuldigten und zahlreicher Zeugen ergeben ein widersprüchliches Bild. Offenbar befand sich eine Gruppe von Jugendlichen - rund 20 Jungen und zehn Mädchen -, die sich abends am Georgplatz getroffen hatten, auf dem Weg zu einem Bummel in der Hohe Straße. Auf die Zurechtweisung durch die NSKK-Streife, die über keinerlei polizeiliche Befugnisse verfügt, nicht gegen den Richtungsverkehr zu gehen, reagierten einige der Jugendlichen allem Anschein nach mit Häme und provozierten hierdurch die NSKK-Männer. Das Publikum war anscheinend gespalten. Nach Aussage eines Schulhausmeisters, der in handgreiflicher Form Partei für die NSKK-Leute ergriff, nahmen einige der Passanten, die nach seiner Einschätzung "ihrem Äusseren nach aus den verrufensten Vierteln stammen mussten", Stellung für die Jugendlichen, während andere Anwesende "unser Handeln als richtig bezeichneten, da es sich um Jugendliche handele, die ständig die Passanten anpöbelten und belästigten". Ein weiterer Belastungszeuge gab zu Protokoll, die 20 bis 30 Jugendlichen hätten offenbar zu einer "Clique" gehört, die auf ihn "den Eindruck bündischer Jugend" gemacht habe. Ein anderer - Mitglied des NSKK - geht, wohl ganz im Sinne des vernehmenden Gestapobeamten, gleich noch einen Schritt weiter, indem er feststellte, der gesamte Vorgang habe auf ihn gewirkt, "als ob es sich bei den Burschen um einen Zusammenschluss staatsfeindlich eingestellter Jugendlicher handelte, die bewusst provozieren und uns NSKK vor dem Publikum blosszustellen versuchten". Er würde "sogar behaupten, dass es den Versuch zur Aufwiegelung des Publikums gegen Angehörige einer Organisation der NSDAP darstellte."


Aus Sicht der inhaftierten und von der Gestapo vernommenen Jugendlichen stellt sich der Vorfall naturgemäß anders dar. 15 bis 20 Jungen "und auch einige Mädels" hätten sich am 12. Oktober gegen 19:30 Uhr wie nahezu allabendlich am Waidmarkt getroffen, so Theodor B. Sie hätten beschlossen, "einen Spaziergang über die Hohe Straße zu machen", wobei einige der Jungen ein Fahrrad dabei gehabt hätten. Dort traf die Gruppe auf den NSKK-Trupp, mit der es zum Konflikt kam. Auch wenn B. den Eindruck erwecken möchte, er habe sich lediglich aus dem Grund eines der Fahrräder genommen, um damit nach Hause zu fahren, scheinen es die Jugendlichen durchaus auf die Provokation der NSKK-Männer angelegt zu haben. Allerdings bestreitet B. dies auch in seiner zweiten Vernehmung am 15. Oktober, wobei er aber immerhin die Möglichkeit einräumt, einem der NSKK-Männer - unabsichtlich - auf die Füße getreten zu haben.


Der ermittelnde Gestapobeamte Sch. kommt am 15. Oktober 1937 zu folgender Abschlussbeurteilung des Vorfalls: Die Vorgänge auf der Hohe Straße seien von den Jugendlichen "unzweifelhaft mutwillig hervorgerufen und auf die Spitze getrieben worden". Nur das "mehr als beherrschte Verhalten des NSKK-Mannes" habe einen "Zusammenstoß mit unabsehbaren Folgen verhindert". Als strafbare Delikte führt er neben dem Tatbestand der Körperverletzung auch "strafbaren Widerstand" an, "da der Verkehrserziehungsdienst des NSKK auf Anordnung des RFSS in Gemeinschaft mit der Schutzpolizei" erfolge, wobei es offenbar keine Rolle spielt, dass zum Zeitpunkt des Konflikts kein Polizeibeamter anwesend war. Besonders liegt dem Gestapokommissarsanwärter aber offenbar die Außenwirkung solcher Vorfälle am Herzen. Es bleibe bei den zahlreichen zum Zeitpunkt des Konflikts auf der Hohe Straße anwesenden Personen der Eindruck bestehen, so sein Resümee, "dass die heutige Jugend in einem krassen Gegensatz zu Angehörigen der NSDAP und damit zum Staate stehe".



 
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