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Karl S.

Karl S. hatte die Volksschule besucht, wobei er das vierte Schuljahr wiederholen musste. Nach Beendigung der Schule hatte er eine Lehre als Bau- und Kunstschlosser bei Schlossermeister Ambrosius in Bayenthal aufgenommen, wo er wöchentlich 4,56 RM verdiente, von denen er aber offenbar lediglich 50 Pfennig "Sonntagsgeld" selbst in die Hand bekam.

S. gehörte vor 1933 keiner Jugendorganisation an.

Der HJ trat er nicht bei. "Es wollten mich Jungens der HJ zum Eintritt in diese bewegen. Da ich aber gehört hatte, da sei auch nicht die richtige Kameradschaft und mir die Jungens auch nicht gefielen, bin ich nicht beigetreten." Außerdem habe seine Mutter kein Geld gehabt, um ihm eine Uniform zu kaufen, denn "wenn ich schon in die HJ eintrat, wollte ich auch eine Uniform haben".

S. wurde im Rahmen der Razzia am 21. Oktober 1937 verhaftet.
Vor etwa zwei Monaten, so Karl S. am 22. Oktober 1937 vor der Gestapo, sei er zu den "Navajos" gestoßen, "die sich früher im Volksgarten trafen, jetzt aber keinen festen Treff mehr hatten, weil die Sache zu unsicher wurde". Einen Führer, so S. weiter, hätte seine Gruppe nicht gehabt; "bei uns war jeder sein eigener Herr". Über den "Zweck der Navajos" konnte S. nichts aussagen. "Ich wollte nur Kameraden haben, mit denen ich zusammen sein konnte und mit denen ich Fahrten machen konnte." So habe er bereits mehrere Fahrten ins Ammerländchen bei Rösrath mitgemacht. An Streitigkeiten mit der HJ habe er sich dagegen ebenso wenig beteiligt wie an "sonstigen Rüpeleien".

Bekannt waren ihm u.a. Alois S., Hans D., Hans R., Josef F. und Hans L.. Letzterer hatte ihm von einer Fahrt mit anderen Jugendlichen aus Heidelberg eine Postkarte geschickt, die der Gestapo bei einer Hausdurchsuchung in die Hände gefallen war. Über die Hintergründe der "Fahrt" lassen sich nur Vermutungen anstellen. Laut S. seien L., "Peter" und "Josef" von der Kriminalpolizei gesucht worden, "weil sie sich unerlaubt von zu Hause entfernt hatten und durch Rundfunk vermisst gemeldet worden waren". Zum auf der Karte erwähnten "Klauen" könne er nichts sagen, ebenso wenig darüber, wie die drei Ausreißer ihre "Barschaft erhöht" hätten. Interessanter Weise hatte der Kartenschreiber die Vorderseite der Postkarte, die den mit vielen studentischen Inschriften verzierten Heidelberger Carzer" zum Motiv hatte, um offenbar bündische Zeichen ergänzt, die S. "v.l.n.r. folgendermaßen erläuterte: Nerotherzeichen - unbekannt [Wolfsangel] - Schwertlilie - Pfadfinderlilie - Totenkopf. "Befragt, was das bedeuten soll", so S., könne er nur sagen, "dass das Nerotherzeichen und der Totenkopf von den Navajos geführt" worden seien. Was L. mit den übrigen Zeichen habe sagen wollen, wisse er nicht. Neben den Zeichen hatte L. die Vorderseite der Karte außerdem mit den Sprüchen "Heil Navajo ohne Scherz" und Treu den Kittelbachpiraten" versehen. Der erstere war laut S. ein Zitat aus dem Refrain eines Liedes, dessen Anfangszeile er nicht kenne. Hinsichtlich der Kittelbachpiraten führte er aus: "Soviel ich gehört habe, soll in Düsseldorf und Umgebung ein Pfadfinderklub bestehen, der sich Kittelbacher Piraten nennt." L. habe vermutlich "seine Verbundenheit" mit dieser Gruppe zum Ausdruck bringen wollen. Obwohl dieser "gut Bescheid weiß mit den Zeichen usw.", so wisse er, S., dennoch nicht, dass L. etwa "Ein Führer der Navajos" sei, wie er ohnehin nichts davon gehört habe, "dass es Führer bei den Navajos gibt".

Hinsichtlich seiner "Kluft" führte S. vor der Gestapo aus, er besitze ein blau-weiß-karriertes Hemd und eine kurze schwarze Hose sowie ein "Koppel mit einem Schloss aus dem Kriege". Hemd und Hose habe er ausschließlich "auf Fahrt" getragen und augenblicklich nur auf der Arbeitsstelle. "Ich werde öffentlich diese Kleidung nicht mehr tragen."

Am Ende seiner Vernehmung gab S. eine Art umfassendes "Statement" ab: "Wenn ich befragt werde, weshalb ich zu den Navajos gegangen bin, erkläre ich, dass ich wegen mehreren Jungens, die mir gefielen, zu den Navajos ging. (...) Ich fühle mich mit meinen Kameraden verbunden, dagegenb habe ich mit den Navajos allgemein nichts zu tun. Es ist mir nicht bewusst, dass die Navajos eine Jugendorganisation darstellen oder darstellen wollen, bezw. die Fortsetzung der früheren bündischen Jugend verfolgen. Es ist mir bekannt, dass im heutigen Deutschland nur eine Jugendorganisation, und zwar die HJ, als vollgültig anerkannt wird. Es ist mir auch bekannt, dass der Nationalsozialismus ein einheitliches Reich schaffen will und auch die Jugend in einer Organisation erfassen will. Ich habe mich nicht gegen den Staat und seine Bestrebungen stellen wollen. Ich muss zugeben, dass ich gegen die HJ eingestellt bin und zwar deshalb, weil uns die HJ-Streife aus dem Volksgarten herausjagen wollte. Ich habe aber an keiner Schlägerei mit der HJ teilgenommen. Ich sehe jetzt ein, dass mein Verhalten nicht richtig ist. Wenn ich gute Kameraden finde, würde ich auch in die Hj gehen. Ich will jetzt meine Verbindung zu den Navajos lösen. (...) Ich bitte mein Verhalten zu entschuldigen."

S. wurde nach der Vernehmung ins Polizeigefängnis Klingelpütz überstellt. Bei seiner Vorführung am Amtsgericht am 25. Oktober 1937 wiederholte S. seine Aussage und bestritt nochmals alle Beschuldigungen. Am 30. Oktober wandte sich seine Mutter unmittelbar an den "sehr geehrten Reichskanzler Adolf Hitler" und suchte um eine Haftentlassung nach, wobei sie darauf hinwies, dass sie sich bis zu diesem Zeitpunkt "schon mehrmals vergelich nach dem Grund der Verhaftung" erkundigt habe. Sie bat direkt bei der Staatsanwaltschaft um die Entlassung ihres Sohnes, da dessen Lehre nunmehr bereits drei Wochen unterbrochen sei und der Verlust der Lehrstelle drohe. Das Gesuch, das am 10. November von Rechtsanwalt Schw. wiederholt wurde, wurde am gleichen Tag abgelehnt.

Am 16. Dezember 1937 wurde S. vom Kölner Sondergericht zu sechs Wochen Gefängnis verurteilt, die durch die Untersuchungshaft abgegolten waren. Das Gericht führte zu seiner Person aus: "Der Angeklagte S. war nach seiner Angabe aus dem Grunde nicht Mitglied der HJ, weil er kein Geld gehabt habe, sich eine Uniform zu kaufen. Er lässt sich dahin ein, er habe sich zunächst mit den jungen Leuten im Volksgarten getroffen, nachdem jedoch dort die Polizei eingeschritten sei, sei der Treffpunkt zum Georgsplatz verlegt worden. Dort hätte sie gemeinschaftliche Lieder gesungen, wie das Lied von Madagaskar, vom Golf von Biskaya und das sogenannte Navajolied. Einmal habe er beobachtet, dass am Georgsplatz ein Hitlerjunge namens K., der unter den Navajos als Angeber angesehen worden sei, verhauen worden sei, er selbst habe sich an der Schlägerei aber nicht beteiligt. Davon, dass Sachen am Georgsplatz beschädigt worden seien, wisse er nichts. Er habe vier bis fünf Fahrten nach Rösrath mitgemacht, wo ebenfalls die erwähnten Lieder gesungen worden seien. Die bei den Navajos übliche Grussform mit verschränktem kleinen Finger habe er auch angewandt. Auch müsse er zugeben der Adressat der ... Karte mit dem Bleistiftvermerk ‚Heil Navajo', ‚Treu den Kittelbach-Piraten' zu sein. Diese Karte stamme von einem Hans L., der ebenfalls den Navajos angehört habe."



 
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