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Navajos (An der Eiche)

Kölner Navajos um 1936/37

Mitte Januar 1936 macht HJ-Bannstreifenführer Heinz W. vor der Kölner Gestapo die Aussage, dass sich "seit vielen Wochen, mindestens seit Oktober 1935" auf dem Platz "An der Eiche" im Kölner Severinsviertel und an weiteren Plätzen - wie beispielsweise in Köln-Zollstock oder am Rhein - "cirka 20 bis 30 Jungen" treffen würden, "die eine schwarze Hose und eine schwarze Weste aus Manchester tragen". "Zu dieser Kluft tragen sie noch weiße Hochlandstrümpfe oder Schaftstiefel. Dazu tragen sie bunte Halstücher, Skimützen, teilweise dazu bunte karrierte Hemden, Tronister und Brotbeutel und Koppel. Auf dem Koppelschloss tragen sie meistens das Wappen einer von der Zigarettenfabrik Neuerburg herausgegebenen Zigarettenmarke, wie z.B. Güldenring." Ein Gruppenmitglied habe eine Trompete bei sich, andere würden Mundharmonika oder Gitarren mit sich führen. "Dieser Trupp marschiert in geschlossener Reihe, einer hinter dem anderen (Gänsemarsch) und singen dabei Fahrtenlieder."

Der in diesem Zusammenhang am stärksten belastete Heinrich B. machte am 8. Februar 1936 vor dem Gestapobeamten Brodesser II folgende Aussage: "Im Sommer 1935 haben sich in der Umgebung von der hiesigen Severinstraße und An der Eiche ca. 20 bis 30 junge Burschen, die vor der nationalen Erhebung dem Nerother- und Kittelbach-Piraten-Pfadfinderbund angehörten, wieder zusammengeschlossen, obschon sie wussten, dass dies verboten war. Mir ist bekannt, dass dieser Pfadfinderbund durch die nationale Erhebung aufgelöst worden ist." An Wochenenden, aber offenbar auch an Wochentagen, unternahm die Gruppe, deren meisten Mitglieder laut B. arbeitslos waren, Ausflüge.

Nach seinen weiteren Angaben vor der Gestapo gab es insofern eine Art organisatorischen Zusammenhang, als die Mitglieder der Gruppe vom Sommer 1935 "ehemalige Mitglieder des aufgelösten [Reichs-] Pfadfinderbundes" waren. Es wurden allerdings keine Beiträge erhoben, sondern vor Beginn eines Ausflugs am Treffpunkt "An der Eiche" Geld gesammelt.

Dabei dürfte es sich kaum um größere Beiträge gehandelt haben, denn nach Auskunft eines weiteren Gruppenmitglieds (Franz F.), veranstaltete man die Wanderungen und Fahrten, weil "wir zum größten Teil erwerbslos waren und lediglich zu dem Zwecke ausfuhren, um unsere freie Zeit totzuschlagen." Dabei habe man zumeist Stellen mit Bademöglichkeiten aufgesucht und die meiste Zeit "mit Sport, Spielen und Musik" verbracht. Es sei also ausschließlich um "Geselligkeit", nie um Politik gegangen - so B´s Aussagen vor der Gestapo.

Der Wandertrupp führte auch keinen offiziellen eigenen Namen, zeichnete sich allerdings durch eine eigene Kluft aus, deren Bestandteile oben bereits skizziert sind. In dieser einheitlichen, aus HJ-Sicht überaus provokativen Kluft wurden die Wanderungen unternommen. "Unterwegs stießen wir meistens mit HJ-Jungen zusammen", was in aller Regel in einer Rauferei endete.

Sämtliche Mitglieder der Gruppe, so zumindest Heinrich B., seien "mit der nationalen Bewegung nicht verbunden", obwohl viele der Mitglieder früher selbst Mitglied der HJ gewesen seien. Andererseits würden sie auch "keine politische Richtlinie verfolgen", sondern sich allein auf das Wandern beschränken und auch keine Versammlungen in geschlossenen Räumen abhalten. Eines allerdings war klar: B. konnte "mit Bestimmtheit angeben, dass wir alle, die dem Trupp angehören, mit der HJ in Feindschaft leben".

Das steht in einem scheinbaren Widerspruch zur Aussage eines weiteren Gruppenmitglieds (Helmuth E.), das im Februar 1936 noch der HJ angehörte. "Ein Teil der Jungen, die sich abends an der Eiche versammeln", so führte er im Februar 1936 vor der Gestapo aus, würden auch der HJ angehören. Im gesamten Ermittlungszusammenhang um die Jugendgruppe "An der Eiche" wurden immerhin drei Gruppenmitglieder ermittelt, die Anfang 1936 noch Mitglieder der HJ waren und nach eigenen Angaben auch regelmäßig an den HJ-Diensten teilnahmen.

Der ebenfalls zur Gruppe zählende Peter B. führte in seiner Vernehmung durch die Kölner Gestapo am 12. Februar 1936 aus, die Kleidung der an den Wanderungen nach Lohmar, Altenberg, Thielenbruch sowie in den Königsforst teilnehmenden Jugendlichen sei nicht immer "einheitlich" gewesen, sondern die Kombinationen aus kurzer schwarzer Hose, Kletterweste und braunen Stiefeln sei "in verschiedenen Aufmachungen" getragen worden. "Wir haben uns auf dem Eichenmarkt getroffen, sind dann in gelöster Ordnung bis zum Heumarkt marschiert und von hier mit der Bahn gefahren." Einziger "Zweck" dieser Fahrten seien "Sport, Spiele und Schwimmen" gewesen, die die Gruppe an den besagten Orten gepflegt hätten. Man habe weder "Geländeübungen" durchgeführt noch über "politische Angelegenheiten" diskutiert. Insbesondere hätten die Wanderungen und Fahrten nicht der "Aufrechterhaltung des verbotenen kommunistischen Jugendverbandes gedient", eine Annahme, die der vernehmende Beamte in das Verhör einbrachte.

Ein weiteres Gruppenmitglied, Heinrich H., führte in der Vernehmung aus, dass die "Jungs", "die mit auf Fahrt gehen, politisch nicht geschult" seien.

"Über Fahrten und sonstige Sachen", so das Gruppenmitglied Wilhelm K. vor der Gestapo, hätten alle gemeinsam am Treffpunkt "An der Eiche" "gemeinschaftlich verhandelt". "Irgendwelche Politik" sei dabei "nicht verhandelt" worden.


Im Zusammenhang mit den Ermittlungen gegen die Gruppe im Februar 1936 machte auch der am 11.07.1916 geborene Zeitungsbote und Hitlerjunge Gerhard R. (Severinstr. 57) eine Aussage, in der er die "Gruppengeschichte" folgendermaßen zusammenfasste:

"Seit 1932 gehöre ich als Mitglied der Hitler-Jugend an. Im Jahre 1933 übernahm ich die Jungschar Trutzenberg, die von einem gewissen Herrn Weidner geführt wurde. Im Jahre 1934 - es kann kurz vor Weihnachten gewesen sein, erhielt ich den Auftrag durch das Schirachhaus den Eichenmarkt mit noch anderen 11 H.J. Angehörigen von etwa dort vorhandenen 25 Mann zu säubern. Diese jungen Burschen standen des öfteren auf dem Eichenmarkt herum und sangen dort verbotene Fahrtenlieder. Unserer Aufforderung, das Singen zu unterlassen, und den Platz zu verlassen, kamen diese Jungen aber nicht nach, sondern wir wurden verlacht .Daraufhin holte ich einen Polizeibeamten des 1. Polizei-Reviers herbei, der 15 von diesen jungen Burschen festnahm, und dem Revier vorführte. Gegen alle Personen wurde in diesem Fall Anzeige vorgelegt. Von allen anwesenden Personen tat sich besonders der Jakob H., im Ferkulum 13 wohnhaft, durch Schimpfereien hervor. Nach dieser Aktion war es bis ungefähr Ende 1935 ruhig in der genannten Gegend.

Ende 1935 erhielt ich wieder Befehl mit noch 20 H.J.-Kameraden ein Gartenhäuschen am Hönninger Weg, welches dem bereits genannten Jakob H. gehörte, auf die Anwesenheit einer verbotenen Organisation zu durchsuchen. Bei unserem Eintreffen fanden wir ca.30 bis 35 junge Burschen dort vor, die zum größten Teil uniformiert waren. Die Uniform bestand aus schwarzer kurzer Hose, kariertem Hemd und Kletterweste. Es handelte sich auch in diesem Falls um dieselben Jungen, die am Eichenmarkt herumstanden und die verbotenen Fahrtenlieder absangen. 20 von diesen Jungen wurden dem 1. Polizeirevier vorgeführt. Ob gegen diese Personen Anzeige vorgelegt wurde, ist mir nicht bekannt. Ein Teil der Jungen konnte frühzeitig entkommen. Bekannt waren mir von den festgenommenen Personen Jakob H., im Ferkulum 13 wohnhaft, und ein gewisser Heinrich H., dessen Wohnung mir nicht bekannt ist. Er ist klein, schmal und blass und hat schwarzes Haar.

Weiter zur Sache befragt erkläre ich, dass ich mindestens 6 bis 7 mal gesehen habe, dass sich auf dem Eichenmarkt diese Jungen versammelten und in Trupps von 10 bis 12 Mann teils auf Rädern und in der beschriebenen Uniform, teils zu Fuß von hier unter Absingen von verbotenen Fahrtenliedern abrückten. Ich habe festgestellt, dass die Trupps zu Fuß bis zum Heumarkt geschlossen marschierten und von hier mit der Linie K zum Königsforst fuhren. Weiter kann ich noch sagen, dass ich auch Ende 1934 und Anfang 1935 gesehen habe, dass sich diese Personen nachdem sie sich an der Eiche versammelt hatten im Gänsemarsch zum Rhein abmarschierten um über die Südbrücke zu den Poller Wiesen unter Voranschreiten einer kleinen Musikkapelle bestehend aus Mundharmonika, Guitarre, Bandoneon zogen. Bei den Ausmärschen zum Königsforst sind diese angegebenen Musikinstrumente auch mitgenommen worden. Bei dem Jakob H. habe ich schon gesehen, dass er an der Hand einen Riemen mit einem Totenkopf trug. Dieses Abzeichen habe ich auch verschiedentlich am Koppelschloss der versammelten Jungen gesehen. Mir ist nicht bekannt, ob die von mir benannten Personen vor der nationalen Erhebung der Kommunistischen Jugend angehört haben. Es ist mir aufgefallen, dass es immer dieselben Personen waren, die sich an der Eiche versammelten und ich muss daher annehmen, dass es sich um eine unter einheitliche Leitung stehende linksgerichtete Organisation handelt."


Am 17. Februar 1936 fasste der zuständige Gestapobeamte Brodesser die bis zu jenem Zeitpunkt in 18 offiziellen Vernehmungen von Beschuldigten bzw. Belasteten sowie mehreren Aussagen von Belastungszeugen und die bis dahin gewonnenen Erkenntnisse in einem Bericht zusammen:

Mittelpunkt der Gruppe "An der Eiche" stand nach Ansicht von Brodesser offenbar Heinrich B., der bereits "vor der nationalen Erhebung mehrmals hier in politischer Hinsicht in Erscheinung getreten" sei. Im Sommer 1934 habe er sich in den Abendstunden häufig auf dem Platz "An der Eiche" aufgehalten, auf dem sich "ebenfalls gleichgesinnte Burschen sammelten" und gemeinsame Fahrten diskutierten und beschlossen. Die Jugendlichen hätten sich "fast jeden Abend" bei Einbruch der Dunkelheit getroffen. "Durch diese Zusammenkünfte bildeten sie einen organisatorischen Zusammenhalt." Auf dem kleinen Platz hätten die Jugendlichen "verbotene Fahrtenlieder gesungen und die HJ verärgert". Bei den Treffen und anlässlich der Fahrten seien mehrere der Beschuldigten in Kluft aufgetreten und mit Musikinstrumenten "ausgerüstet" gewesen. "Wenn auch die Beschuldigten bestreiten, sich auf den Fahrten über politische Angelegenheiten unterhalten zu haben, so muss aber angenommen werden, dass ihr Verhalten auf kommunistischer Grundlage aufgebaut ist." Insbesondere Heinrich B. sei "politisch vorgeschult" und habe es bislang verstanden, "die jungen Burschen, die in der Nähe vom Eichenmarkt wohnen, für sich zu gewinnen". Aus der Tatsache, dass bis auf drei alle übrigen Jugendlichen nicht Mitglied in der HJ seien, müsse geschlossen werden, "dass sie mit den nationalen Grundgedanken nicht einverstanden" seien. "Vor der nationalen Erhebung waren derartige Burschen in der Umgebung von Köln-Süd-Severinsviertel in der kommunistischen Jugendbewegung." Insgesamt, so schloss der Gestapobeamte seinen Bericht, seien die Beobachtungen noch nicht endgültig abgeschlossen; ein Nachtrag würde folgen. Im übrigen seien die am 11. Februar 1936 festgenommenen sechs Jugendlichen Peter B., Jakob H., Heinrich H., Wilhelm K., Wihelm M. und Franz F. nach ihrer Vernehmung am 13. Februar 1936 wieder entlassen worden.


Am 3. März 1936 fand der Vorgang seinen endgültigen Abschluss: "Die in der Zwischenzeit angestellten Ermittlungen", so legte Kriminalsekretär Brodesser in einer kurzen Notiz nieder, hätten "zu keinem weiteren Ergebnis geführt". Die Beschuldigten hätten sich zwischenzeitlich "vollständig zerstreut". Irgendwelche Fahrten oder Zusammenkünfte finden nicht mehr statt." Beweise für einen kommunistischen oder - eine völlig neue Annahme - konfessionellen Charakter der Gruppe hätten nicht erbracht werden können.



 

Dezember 1935: Rauferei im Königsforst
1. Januar 1936: "Gänsemarsch" am Neujahrstag
4. August 1936: Gestapo berichtet von Überfällen auf HJ-Angehörige

Personen
Wilhelm K.
Heinrich B.
Jakob S.
Gerhard B.
Peter B.
Josef B.
Peter B.
Franz D.
Helmuth E.
Ludwig F.
Franz F.
Heinrich H.
Nikolaus J.
Theodor L.
Peter M.
Wilhelm M.
Otto P.
Gerhard S.
Johann S.
Josef S.

Topografie
Treffpunkt: Köln, An der Eiche
Ausflugsziel: "Königsforst", Königsforst

Lexikon
Kluft
Hitlerjugend (HJ)
Kommunistischer Jugenverband Deutschlands (KJVD)
Nerother Wandervogel
Gestapo
Schirach, Baldur von
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Pfadfinder
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Kittelbach-Piraten
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