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"Leistungswoche der Bündischen Jugend" - Illegale Flugblätter in Köln!

Flugblatt zur "Leistungswoche"

In der Nacht vom 21. auf den 22. November 1942 tauchen im Stadtgebiet kleine Flugblätter auf, die folgenden Text tragen:

"Leistungwoche
Der
Bündischen
Jugend
Bezirk 1 [auch 2 oder 3]
Kommt zurück
Jugend Erwache"

Druckzettel gleichen Inhalts seien laut Anklageschrift der Oberstaatsanwaltschaft vom 23. Juni 1943 am anderen Tag in Briefumschlägen an eine "Reihe von Polizeirevieren und anderen staatlichen Dienststellen" geschickt worden.

Die Entstehungsgeschichte dieser Flugblätter ist aus den (Gestapo-) Akten nicht vollständig rekonstruierbar, geht aber wohl nach Auskunft eines (ungenannt bleiben wollenden) Zeitzeugen auf Wilhelm Th. zurück.

Th. habe laut Auskunft dieses Zeitzeugen im Frühsommer 1942 die Gruppe am Leipziger Platz in Köln-Nippes neu begründet, nachdem sich diese im Jahr 1941 durch Gestapoaktivitäten (Liesenberger Mühle) und Einberufung zahlreicher Gruppenmitglieder praktisch aufgelöst hatte.

Der Zeitzeuge habe Th. während einer Tour im Spätsommer 1942 zufällig in München getroffen, wo ihm dieser von seinem Vorhaben bzgl. der illegalen Flugschriften erzählt habe. Die Aktion sei eine Reaktion auf eine "Werbewoche" gewesen, die die HJ in Köln im Sommer des Jahres durchgeführt habe. Th. habe es jedoch nicht bei dem einen Flugblatt lassen wollen, sondern bereits im Sommer ein zweites geplant gehabt, das um Weihnachten 1942 in Köln hätte auftauchen sollen, was aber schließlich durch den Gang der Ereignisse verhindert worden sei.

Zurück zu den konkreten Abläufen: Th. hatte zwar die Idee zur Flugblattaktion, es fehlten ihm jedoch zunächst offenbar die Mittel zur Umsetzung. Das ändert sich, als Harry Schw., Mitglied einer Jugendgruppe in Köln-Longerich und seit spätestens Herbst 1942 auch regelmäßiger Teilnehmer an den Treffs am Leipziger Platz, Mitte November 1942 mit einem Nachbarn, dem SA-Sturmmann Willi B., ins Gespräch kommt, der im Hinblick auf die geplante Aktion den großen Vorteil hat, dass er bei der Deutschen Reichspost als Drucker beschäftigt ist. Dieser, so Schw. später im Verhör vor der Gestapo, habe ihn gefragt, "ob er mit mir mal zum Leipziger Platz gehen könne".

Was Harry Schw. nicht weiß: B. ist eine Art V-Mann! Jedenfalls erklärt der SA-Scharführer Mathias K. aus Köln-Longerich am 3. Dezember 1942 vor der Gestapo, er habe B., nachdem er durch den NSDAP-Ortsgruppenleitter Franz L. "über das Vorhandensein der sogenannten Bündischen Jugend" informiert worden sei und B. ihm mitgeteilt habe, er kenne "einige Jugendliche aus dem Lager der Bündischen Jugend" (vermutlich Leo A. und eben Harry Schw. aus der Longericher Gruppe), jenen beauftragt, "sich der fraglichen Gruppe zum Schein zu nähern und anzuschliessen" und ihm dann "über deren Treiben Mitteilung zu machen".

Der weitere Ablauf der Ereignisse ist etwas verworren und aus den Akten nicht mit letzter Sicherheit rekonstruierbar. Jedenfalls tritt B. mit Harry Schw. in Kontakt und wird - nachdem Schw. bei Willi Th. und Heinrich Cr., die nach seiner Aussage das "große Wort" am Leipziger Platz führen, die Zustimmung eingeholt hat - von diesem am 17. November mit zu einem der Treffen in Nippes mitgenommen. Hier habe, so Schw. später, Willi Th. den B. gefragt, "ob er Plakate drucken könne". "B. bejahte dies und fügt hinzu, dass es sich aber nur um kleine Plakate handele. Th. äußert den Wunsch, dass er bis Samstag [21.11.] die Plakate fertig haben müsse." Daraufhin werden bei B. Flugzettel mit dem oben wiedergegebene Text in Auftrag gegeben, deren Herstellung dieser während seines Nachtdienstes am 19. November bewerkstelligen will.

Eigenartig erscheint in diesem Zusammenhang, dass B. seinen angeblichen Auftraggeber, SA-Scharführer K., nicht umgehend über diese Aktion informiert, hätte so doch die Möglichkeit bestanden, die Verteiler der "Hetzschrift" auf frischer Tat zu ertappen. Stattdessen sucht B. den SA-Mann erst am 2. Dezember, also mehr als eine Woche nach der Verbreitung des Handzettels, auf, um ihm zu berichten, "die fragliche Gruppe der Bündischen Jugend hätte beschlossen, Rundschreiben an die Polizeireviere, Kriminalpolizei, Staatspolizei und andere Stellen zu versenden". Er, so B. weiter, habe diese Zettel nicht nur gedruckt, sondern beim Kuvertieren und Versand auch geholfen. Warum er das tat, und warum er sein Wissen so spät weiter gab, bleibt im Dunkeln. Es könnte sein, dass B. sich zunächst tatsächlich aktiv an der Aktion beteiligen will, diese ihm schließlich aber zu gefährlich wird und er daraufhin versucht, die eigene "Haut" durch die Denunziation der Gruppe um Th. zu retten. Aber das ist beim gegenwärtigen Wissensstand lediglich Spekulation.

Die Jugendlichen jedenfalls treffen sich verabredungsgemäß am Abend des 21. November 1942 vor der Wohnung von Heinrich Cr., wo sich auch B. einfindet und 1.500 bis 2.000 der, von der Gestapo so bezeichneten "Hetzzettel" mitbringt. Th. seinerseits hatte "vorher schriftlich einen Plan aufgestellt, wonach die Verteilung vorzunehmen war". Nachdem der Kleister angerührt ist, machen sich die einzelnen Gruppen auf den Weg. Harry beispielsweise geht mit Heinrich Cr.: "Um 20 Uhr begannen wir auf der Hohe Straße mit dem Aufkleben der Hetzzettel. Wir klebten wahllos an Häuserwände und Schaufenster. Vereinzelt schoben wir auch Zettel unter die Haustüren und [in] Briefkästen. Wir beiden haben schätzungsweise 300 Plakate zur Verteilung gebracht. Eine Anzahl haben wir in den Rhein geworfen, jedoch ohne Wissen der anderen Gruppen." Nachdem die Aktion beendet ist, treffen sich die Verteilerkolonnen am Hauptbahnhof, um sich dann zu trennen. Th. hat außerdem ca. 50 Briefumschläge vorbereitet, in denen er einige Exemplare der Handzettel an öffentliche Einrichtungen schicken will.

Von der Gestapo befragt, was man mit der "Leistungswoche der Bündischen Jugend" gemeint habe, erklärt Fritz D., der bei der Flugblattaktion dabei war: "Ich war mir klar, dass die Bündische Jugend eine besondere Aktion gegen die HJ durchführte. Dieses lag in meinem Sinne und so hatte ich keine Veranlassung, mich gegen die Verbreitung der Hetzschriften zu stellen. Die Worte "Kommt zurück, Jugend erwache" habe ich nicht recht verstanden. Ich habe nicht darüber nachgedacht, dass damit die Angehörigen der Hitler Jugend zur Rückkehr zur Bündischen Jugend aufgefordert wurden. Ich sehe ein, dass man bei dem Inhalt der Hetzschriften zu der Ansicht kommen musste, dass eine Zerschlagung der Hitler-Jugend bezweckt wurde." Aus der Wortwahl geht deutlich hervor, dass der Gestapobeamte dem Jungen die Worte in den Mund legte.

Klarere Worte zu den Hintergründen des Flugblatts benutzt Willi Th. in seiner Vernehmung vom 18. Januar 1943: "Den Entwurf der Flugschrift fertigte ich aus dem gleichen Gedanken an wie bei der Anbringung der PX Zeichen. Es kam mir darauf an, etwas gegen die Hitler-Jugend zu tun und war der Meinung, dass die Bündische Jugend das richtige Werkzeug dazu wäre. [...] Meine Verärgerung gegen die HJ war so gross, dass ich allem zustimmte, was der Hitlerjugend nachteilig sein konnte."


Im Anschluss an die Flugblattaktion kommen die beteiligten Jugendlichen an einer "Verkaufshalle für Reiseandenken" in der Trunkstraße vorbei. Auf Vorschlag von Willi Th. habe man diese umgeworfen, gibt Fritz D. vor der Gestapo zu Protokoll. Er habe den Ruf "Ho ruck" und Krachen gehört und sei eilig weiter gegangen.

Nach Auskunft von Heinz Cr. waren insgesamt sechs Jungen an der Demontage der Verkaufsbude, die zwischen Hohenzollern- und "Hindenburgbrücke" lag, beteiligt.



 
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