Fred Helmuth Friedmann
geboren 1918 in Köln am Rhein, jenem Köln, das sich mutig mit jenem eigenartigen Gemisch von grosstädtischer Aufgeklärtheit und bäuerischer Schläue, wie sie in den heimatlichen Gestalten von "Tünnes und Schäl" verkörpert sind, immer wieder emporraffte; das auf das leibliche Wohl ebenso bedacht ist wie es das Funkeln des echtköllschen Mutterwitzes ehrt, wo immer es sich äussert; das sich, stolz auf seine geographische Lage, auch als Mittler zur römisch-französischen Kultur fühlt, wie es zum Beispiel im Wortschatz und einigen Vokalklängen seiner ursprünglichen fränkischen Sprache zum Ausdruck kommt; und das, auf seine lange Geschichte blickend, von sich sagen kann, dass es, trotz aller Rückschläge, seinen Beitrag zur geistigen und gesellschaftlichen Entwicklung geliefert hat.

Besuchte die humanistische Abteilung des Staatlichen Friedrich-Wilhelm-Gymnasiums in Köln, dessen hervorragender Lehrkörper eine Erziehungsanstalt weit über die lokale Bedeutung hinausgehenden Ranges geschaffen hatte. Hier, wie auch auf der Rabbinatschule, tat sich ihm, im Studium der alten Sprachen insbesondere, das Geheimnis der Sprache auf, das seither der eigentliche Gegenstand seines Interesses geblieben ist. Die Grundstimmung war überschattet und verdüstert. Was dem, der als Sechzehnjähriger Eltern, Schule, Freunde und Heimat verliess, eine unheilbare Wunde schlug, deren Ursachen erst jetzt dem nunmehr Fünfzigjährigen aufzugehen beginnen, war gerade jenes feige Abdanken derer, die Anspruch darauf erhoben, Intelligenz zu sein, geistig zu führen, die den Humanismus predigten und auch nicht die leisesten Gewissensbisse verspürten, als sie entweder einer neuen Generation die alten Absichten aufzwangen oder durch ihr Versagen ein Beispiel der Feigheit gaben, das der konkret denkenden und praktisch handelnden Jugend die moralischen Hindernisse aus dem Weg räumte, der bereits damals zum Verprügeln hilfloser Kinder und alter Leute auf offener Strasse und vor aller Augen führte, und schliesslich zu den unbeschreiblich feigen Brutalitäten der entfesselten Bestie, die in Europa einbrach. Welches Konzept der Ehre und sogenannter soldatischen Tugenden, fragte sich der aus der bündischen Jugend kommende Sechzehnjährige bereits, mochte wohl hinter der Umdeutung von bodenloser Feigheit in Tapferkeit und gemeinster Hinterlist in Kriegslist stecken?

Und dennoch war es so, dass sich dem Gefühl, dem stinkenden Verrat der Heimat entronnen zu sein und dem heuchlerischen Gymnasialhumanismus den Rücken gekehrt zu haben, um in Palästina im tätigen Leben, wie man es sich vorstellte, beim Aufbau neuer Formen menschlichen Zusammenlebens und geistiger Haltung mitzuhelfen, die herzzereissende Trauer des nunmehr mit 16 Jahren in der Welt Alleinstehenden, der einer der besten Schüler seiner Schule gewesen war, dem seine Lehrer eine hohe akademische Laufbahn prophezeit hatten, der begonnen hatte zu "schreiben", ausbreitete. Die Heimat hatte einen loyalen Sohn verstossen. Es war eine Zeit der Lehr- und Wanderjahre im goetheschen Sinn, oder der Universitäten im Sinne Gorkis. Wer hat im "Elend" nicht jene Suche nach physischem und ideellem Obdach erfahren? Den Umständen und Verhältnissen wirtschaftlicher und politischer Art direkt ausgesetzt, der mörderischen Barbarei das Bild jenes anderen Deutschland entgegenhaltend; in den verschiedensten Situationen mit Menschen verschiedenster Herkunft und Auffassungen zusammengeworfen; den hebräischen Aufbauliedern ebenso folgend wie den arabischen Geschichten von Leila und Magnun und den englischen fairy tales; es blieb von all dem die Bemühung, das allgemein Menschliche im Heldentum des Lebens und nicht des Todes voranzustellen.

Studierte dann Philologie an den Universitäten Montpellier und Paris, wo sich ihm Gelegenheit bot, neben den akademischen Disziplinen und Tugenden auch einen Einblick in die Lebensweise und praktische Philosophie des französischen Alltags zu gewinnen. Die lachende Aufschlussfreudigkeit des südfranzösischen Menschen; das zurückhaltend intimere Lächeln von Paris; die innige Verbindung praktischen Bestrebens mit jener Kulturfähigkeit, wie sie dem Franzosen eingeboren scheint; die französische Sprache in ihrer wunderbar tonhaften Musikalität wie auch als Instrument geistiger Besitzergreifung der äusseren Wirklichkeit und beredter Zungenfertigkeit haben dem strengen, etwas altmodisch irreellen und abstrakt wirklichkeitsfremden Humanismus der Gymnasialjahre einen Zug jener auf das Reale bezogenen Lebensbejahung verliehen, wie sie sich im Titel des in Vorbereitung befindlichen Gedichtbandes "Allegro ma non troppo" zeigt.

Die engere Bekanntschaft mit England hat dem ideellen Bestand weiteres Wesentliche hinzugefügt; sie hat vor allem harte Ecken und Kanten abgerundet; hat fanatischen Gigantendrang der Puddingprobe unterstellt; hat dem Streben nach wahrheitlicher Vollendung eine irdischem Menschentum angemessene Richtschnur verliehen in der Idee des gesellschaftlich Wünschenswerten und konkret Erreichbaren; jener Lebenslist, die die Klassifizierung von Problemen pragmatisch ablehnt und das Ueberqueren der Brücke erst dann ins Auge fasst, wenn sie sich als objektive und unumgängliche Wirklichkeit darstellt. In einer Zeit zu leben, in der neue Formen menschlichen Daseins und Zusammenlebens sich ankündigen, in der ein geschichtlich eingegliederter und vertrauensvoll in die Zukunft blickender Humanismus sich immer wieder aufs Neue mutig bewähren kann, in der die promethische Geste vielleicht wie nie zuvor nach kosmischer Vollendung drängt, ist gut.

Berufe in der Schweiz, Palästina, Frankreich und England: Gemüsegärtner, Orangen- und Bananenplantagenarbeiter, Schafhirt, Nachtwächter, Tellerwäscher, freier Journalist, Maurer- und Anstreichergehilfe, Bautischler, Manager, Soldat, Grosshandellagerverwalter, Student, Erzgrubenarbeiter unter Tag, Erzwäscher, Sprachlehrer, Fürsorgebeamter für ehemalige politische Häftlinge, Deportierte und Kriegsgefangene, Buchhandelsangestellter, Buchprüfungsangestellter, Gewerkschaftsangestellter, Dolmetscher, Uebersetzer, Erziehungsbeamter, Biologielehrer, Universitäts-Tutor, Universitätsprüfer, Scriptwriter, Schulrat und -inspektor, Schriftsteller, Reimer und Versmacher usw.
Jetzt Senior Lecturer für neuere Sprachen und Methodik und Direktor eines Forschungsprogramms in London. Pionier des Ausio-visuellen Sprachunterrichts in England, Gründer der Audio-Visual Language Association (AVLA) und des Audio-Visual Language Journals (Journal of Language Teaching Technology and Applied Linguistics). Mitglied mehrerer beratender öffentlicher Ausschüsse. Fellow des Royal Anthropological Institute, der Royal Society of Arts, des Institute of Linguists. Viele Artikel und Vorträge über Audio-Visual Language Teaching und moderne Methoden des Sprachunterrichts. Einzelne Gedichte und literarische Arbeiten in Deutschland und Frankreich veröffentlicht.

In Frankreich und England langjährige hauptberufliche und ehrenamtliche Gewerkschaftstätigkeit.

Ausgezeichnet mit dem französischen Ehrenorden für Akademische Verdienste (Ordre des Palmes Académiques) für seine Aktivitäten auf dem Gebiet der englisch-französischen kulturellen Zusammenarbeit.

aus: International P.E.N. (A World Association of Writers), Zentrum deutschsprachiger Autoren im Ausland/Centre of German-speaking Writers Abroad (Ed./Hrsg.), Autobiographien, London 1986


 




Gedichte, die (mehr als) Geschichte schreiben