Traum aus Tausendundeiner Nacht

"Geradezu ausschlaggebend für mein Leben war es, daß ich die ›1001Nacht‹ in der großen, vierbändigen illustrierten Ausgabe von Weil, die ich schon auf der Sekunda Weihnachten zum Geschenk erhielt, mit Begeisterung las und studierte. Hierdurch wurde in mir der Gedanke, Forschungsreisender im islamischen Orient zu werden, geweckt, ein Gedanke, der mich nie verließ…"

Obwohl diese Anekdote Max von Oppenheims von einer gewissen Selbststilisierung zeugt, bezeichnet sie doch den Einfluss der "Erzählungen aus Tausendundeiner Nacht"auf gleich mehrere Generationen, die Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts dieWelt des Orients zum Schauplatz ihrer Sehnsüchte und Fantasien erkoren. Bereits die Rahmenhandlung der 1823 erstmals aus dem arabischen Urtext Alf layla wa-layla ins Deutsche übersetzten Erzählungen bot ein bizarres und exotisches Szenarium: Ein König von Samarkand, der von seiner Gemahlin mit einem Sklaven betrogen wurde, verliert den Glauben an die Treue der Frauen. Darum heiratet er jeden Abend eine neue Frau, die er am Morgen nach der Liebesnacht töten lässt. Erst die kluge Scheherazade, Tochter des königlichen Wesirs, fesselt den König durch ihre Erzählungen, die sie von Nacht zu Nacht fortspinnt und damit ihr Leben rettet.

Die "Erzählungen aus Tausendundeiner Nacht" riefen Träume von sagenumwobenen Frauengemächern und Palastwelten der Sultane hervor, hatten jedoch wenig mit der Realität gemein. Zahlreiche Orientreisende der Zeit kehrten enttäuscht, ja entrüstet nach Europa zurück, weil sich die fremde Welt nicht mit ihren Vorstellungen decken wollte. Intoleranz und Hochmut gegenüber den "unzivilisierten Eingeborenen" verstellten den Blick.

Anders dagegen Max von Oppenheim, der sich bereits während seiner zweiten Orientreise 1892 für sieben Monate in einem der arabischen Viertel Kairos einquartierte:"Hier lebte ich wie ein einheimischer Mohammedaner, um mich in der arabischen Spracheweiterzubilden und den Geist des Islam sowie Sitten und Gebräuche der Eingeborenenzu studieren." Der Junggeselle verfügte über eine "vortreffliche schwarze Köchin,die natürlich nur die Eingeborenen-Gerichte kannte", ein fünfzehnjähriges arabisches Mädchen mit einem abessinischen Einschlag als "Zeitfrau" sowie eine spezielle "Bettdienerin". Das Leben gestaltete sich ihm so interessant, dass er "während der halbjährigenZeit, in der ich in dem Hause zubrachte, im ganzen, wenn ich mich recht erinnere, [nur]etwa fünfmal in das europäische Viertel gegangen bin."

Mit seiner Attachierung an die Kairoer Gesandtschaft 1896 begann Max von Oppenheims eigentliches "Doppelleben" als "Araber" und Angehöriger der Diplomatenkreise. Hier mietete er sich "einen kleinen Palast im Quartier Bab el Luk an dem Platze Midanel Azhare, an der Grenze des altarabischen und europäischen Viertels, aber noch innerhalb eines Gebietes, in dem sich viele Pascha-Häuser von Gärten umgeben, befanden."Während die zum Eingangstor hin gelegenen Räume - Salon, Kanzlei und Bibliothek -dem Empfang europäischer Gäste und der Arbeit dienten, waren die rückwärtigen Gemächerausschließlich dem Privatleben vorbehalten. Hier entfaltete sich das Reich der"Ehefrauen auf Zeit", das nach dem Geschmack und dem Vorbild reicher osmanischer Familien ausgestattet war und zu dem nur wenige Europäer Zutritt hatten.

Oppenheims Verhältnis zu den Menschen des Orients war von Toleranz und Respektgeprägt. Anders als viele der im Orient wirkenden Europäer bezeichnete er seinen Aufenthalt in Kairo von 1896 bis 1909 als "herrliche Zeit. 13 Jahre in dem Traumlande Aegypten, ein Traumleben während 13Jahren, einerseits innerhalb des diplomatischen Verkehrs, andererseits innerhalb der eingeborenen Welt, die ich verstand und die mich verstand."
Fiktive Badeszene in einem Harem.
Holzschnitt aus der vierbändigen Ausgabe von »Tausendundeiner Nacht«, die Max von Oppenheim als Sekundaner von seinen Eltern zu Weihnachten geschenkt bekam
(Stuttgart 1872).

Peter Mesenhöller


5 Fiktive Badeszene in einem Harem.
Holzschnitt aus der vierbändigen Ausgabe von »Tausendundeiner Nacht«, die Max von Oppenheim als Sekundaner von seinen Eltern zu Weihnachten geschenkt bekam
(Stuttgart 1872).

4 Max von Oppenheim als »Araber« in seiner Kairoer Zeit.