Der Forscher
"Die eigentlichen Beduinen sind Nomaden, die in den Wüstensteppen,
in der Wüste mit ihren Zelten, Kamelen und Pferden umherwandern
Der Vollbeduine ist in erster Liniestolz auf seine Abstammung
Nichts
geht ihm über seine Freiheit. Nur ungern und vereinzelt kommt er in die
Stadt, wo er nicht mehr seine Waffen tragen und in seinem Zelte schlafen kann.
Arbeiten ist des Beduinen unwürdig. Er nimmt nur Verrichtungen vor, die
mit seinem Wandern und mit seiner Viehzucht zusammenhängen
Ein
Mann gilt im Stamme nichts, wenn er sich nicht an Raubzügen beteiligt
hat
Aus dem Leben in der Wüste haben sich die Institute der Gastfreundschaft
und des Asylrechts entwickelt. Es sind dies uralte Verpflichtungen und in
ihnen sind die höchsten Tugenden der Beduinen zu erblicken
"
Max von Oppenheims erste Kontakte mit den Beduinen datieren auf seine Expedition
vom Mittelmeer zum Persischen Golf im Jahre 1893 zurück. Nach der Überquerung
des Euphrats erreichte ihn in dem Städtchen Nisibin die Einladung Faris
Paschas, einesScheichs der Schammar-Beduinen, einige Tage als Gast in seinem
Lager zu verbringen. Die Begegnung scheint die sicherlich hohen Erwartungen
Oppenheims erfüllt zu haben, denn zum Abschied schloss er mit Faris Pascha
einen schriftlichen Bruderschaftsbund, der ihm als Empfehlung auch für
andere Beduinenstämme gelten sollte. Die Begegnung begründete Oppenheims
lebenslange Zuneigung zur beduinischen Kultur, die in den folgenden Jahren
auch Gegenstand seiner wissenschaftlichen Tätigkeit werden sollte. Seit1899
sammelte er systematisch die Abstammungslisten der verschiedenen Beduinenstämme
und ihrer Scheichs, ohne die ein Verständnis ihrer Geschichte und sozialen
Organisation nicht möglich wäre, und schuf damit die Grundlage für
sein heute nochgeachtetes, mehrbändiges Standardwerk "Die Beduinen".
Ausgehend von der Geographie, in der sich die Wanderungsbewegungen der Beduinen
abspielten, suchte Oppenheim zunächst die historischen Gründe für
ihren jeweiligen Ortswechsel zu untersuchen. Hierbei schien ihm die genaue
genealogische Kenntnis der Stammesführer unerlässlich: "An
den Namen ihrer Vorväter konnten sie sowohl die Tiefe ihrer Geschichte
messen als auch ihre Verbindung zu anderen Stämmen festhalten. Ahnenreihen
halfen Beduinen, sich im Ablauf der Zeit zu orientieren. Zur Orientierung
im Raum dienten ihnen die Namen ihrer Feinde. Dort, wo ein Stamm mit einem
anderen kämpfte, lagen die Grenzen" (A. Nippa). Da sich die Beduinen
auf ihren weiträumigen Wanderungsbewegungen immer wieder mit anderen
Stämmen verbünden mussten, kam es im Laufe der Zeit zu stammesübergreifenden
Allianzen, die ein weites Netz verwandtschaftlicher Beziehungen schufen.
Die komplexen verwandtschaftlichen Verhältnisse der Beduinen legten für
Oppenheim den Rückschluss auf eine wechselseitige Beziehung zu ihren
moralischen Werten und Idealen nahe. Ehre, Freundschaft, Großmut und
Gastfreundschaft, aber auch"Schattenseiten" wie "Raub- und
Habsucht" sowie "Willkür", waren demnach Eigenschaftender
Beduinen, die sich nur aus ihren Lebensbedingungen erklären ließen.
Ihre Bräuche und Rechtsvorstellungen waren eng miteinander verknüpft.
Max von Oppenheims "Beduinen"-Werk war zunächst gedacht für
all jene, "die mit Beduinen zu tun haben werden, daß sie
ihre Stammesgliederungen und ihre Scheichfamiliengenau kennen und ihre Eigenart,
ihre Sitten und Gebräuche respektieren." Ausheutiger Sicht muten
seine komplexen Beschreibungen eher modern an und sind zudem eine unverzichtbare
Quelle, da seine Aufzeichnungen mündlicher Überlieferungen von den
Beduinen nicht mehr erinnert werden.
Peter Mesenhöller